Die Ukraine führt aktuell Pilotausschreibungen für erneuerbare Energien durch, um Investitionen in dezentralisierte Stromerzeugung anzuziehen. Hohe Schulden und mangelndes Vertrauen in staatliche Zahlungen bedrohen jedoch den schnellen Ausbau.
Der Energiesektor der Ukraine ist in Geldnot, da Russland etwa zwei Drittel der Stromerzeugungskapazität beschädigt, zerstört oder besetzt hat. Ohne ausreichende Luftverteidigung wird die Zerstörung des ukrainischen Stromnetzes und der Energieversorgung nicht aufhören, sodass dieser Winter wahrscheinlich noch härter wird als die vorherigen.
Hier könnten erneuerbare Energien ins Spiel kommen. Wind- und Solarparks sind dezentraler als Wärmekraftwerke und daher schwerer mit Raketen und Drohnen zu treffen.
Im Jahr 2021 machten erneuerbare Energien wie Wind-, Solar- und Wasserkraft nur etwa zwei Prozent der ukrainischen Energieversorgung aus, so die Internationale Energieagentur (IEA).
Für den Ausbau erneuerbarer Energien, ist es von entscheidender Bedeutung Investoren zu gewinnen. Solche Projekte sind in der Ukraine derzeit jedoch nicht rentabel.
„Es gibt kaum Projekte, die sich auszahlen“, sagte Michael Salcher, Leiter des Bereichs Energie bei der Beratungsfirma KPMG. „Investitionen in der Ukraine sind derzeit eher eine soziale und humanitäre als eine Investitionsfrage.“
Aus diesem Grund wird bei neuen Ausschreibungen am Donnerstag (31. Oktober) versucht, private Investitionen durch eine staatlich finanzierte Einspeiseprämie anzustoßen. Das bedeutet, dass der staatliche ‚garantierte Käufer‘ die Differenz zwischen dem Auktions- und dem Marktpreis abdeckt.
Verschiedene Interessengruppen sehen die Ausschreibungen als positiven Schritt zur Schaffung eines funktionierenden Marktes. „Wir hoffen, dass dieses Pilotprojekt im nächsten Jahr wiederholt wird, dann aber mit einem größeren Volumen“, sagte Oleksandr Selishchev, Geschäftsführer des Unternehmens für erneuerbare Energien DTEK Renewables.
Wachsendes Misstrauen
Die Ausschreibungen haben jedoch eine große Schwachstelle: die Beteiligung der Regierung. In der Investorengemeinschaft gibt es Bedenken aufgrund vergangener Probleme mit staatlichen Eingriffen in die Förderung erneuerbarer Energien in der Ukraine.
2009 führte die Regierung einen „Grüntarif“ ein, der es Investoren ermöglichte, ihren Strom aus erneuerbaren Quellen zu einem höheren Preis zu verkaufen. Doch als die Stromerzeugung aus Solar- und Windenergie stieg, fehlten der Regierung die Mittel, den höheren Tarif zu bezahlen, und sie kürzte den Tarif 2019 rückwirkend um 40 Prozent.
2024 hat die Regierung einen Teil der Schulden an die Investoren zurückgezahlt, doch ein klarer Tilgungsplan für die Zukunft ist nach wie vor unklar.
„Wir haben Investoren, die sehr zögern, mit dem staatlichen Abnehmer zusammenzuarbeiten“, sagte Anastasiia Vereshchynska, Geschäftsführerin der Europäisch-Ukrainischen Energieagentur.
„Und wir haben internationale Finanzinstitutionen, die ebenfalls unglücklich darüber sind, Kredite an Unternehmen zu vergeben, an denen der staatliche Abnehmer beteiligt ist.“
Es besteht die Gefahr, dass Ausschreibungen mit ‚garantierten Käufern‘ weniger Investoren anziehen als notwendig wäre, insbesondere aus dem Ausland.
„Der erste Schritt wäre, das zerrüttete Vertrauen zwischen den Investoren und der ukrainischen Regierung wiederherzustellen“, erklärte Kostiantyn Krynytskyi von der NGO Ecoaction. Aber „ich denke, das kann wirklich schwierig werden.“
Es gibt alternative Modelle, die Investitionen in erneuerbare Energien ohne staatliche Beteiligung fördern könnten. Ein viel diskutierter Vorschlag sieht einen von internationalen Finanzinstitutionen gestützten Fonds vor, der Preisschwankungen innerhalb einer festgelegten Preisobergrenze abdeckt – ähnlich wie der ‚garantierte Käufer‘ bei der Einspeiseprämie.
„Ich denke, dies ist der schnellste Weg, um alle dazu zu bewegen, in erneuerbare Energien zu investieren“, sagte Selishchev.
Schwierige Entscheidungen
Ein weiterer Ansatz, um die staatliche Zahlungsfähigkeit zu stärken und Investitionen anzuziehen, wäre die Kürzung von Stromsubventionen. Trotz zweier starker Preiserhöhungen seit Kriegsbeginn zahlen die Haushalte nur etwa die Hälfte des Marktpreises.
Olia Evstigneeva, die gleichzeitig auch im ukrainischen Energieministerium arbeitet, betont: „Wenn wir jetzt nicht handeln, riskieren wir, die Chance zu verpassen, erneuerbare Energien auszubauen und einen effizienten, transparenten und schuldenfreien Markt aufzubauen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass diese Subventionen effektiv monetarisiert werden.“
Allerdings ist eine weitere Kürzung der Subventionen während des Krieges politisch heikel, da immer mehr Menschen unter die Armutsgrenze fallen. Um Energiearmut zu vermeiden, könnten gefährdete Gruppen durch die Gewährung eines bestimmten Mindestenergieverbrauchs zu subventionierten Preisen geschützt werden.
Ein anderer Ansatz wäre, nur Haushalte zu subventionieren, die als energiearm eingestuft werden – eine Klassifizierung, die derzeit im ukrainischen Recht fehlt. Kostenorientierte Preise könnten ebenfalls einen Anreiz für höhere Energieeinsparungen und mehr Energieeffizienz schaffen. Verbesserungspotenzial gibt es noch in beiden Bereichen.
Das zentrale Problem desEnergiesektors bleibt jedoch der Krieg selbst.
„Nicht alle Investoren sind bereit, hierherzukommen und etwas zu tun, solange die Raketen fliegen und die Bomben fallen“, sagte Denis Jatsyshyn von der NGO US-Ukraine Business Council.
„Ich bezweifle sehr, dass wir große Investitionen in der Ukraine sehen werden, bis der Krieg vorbei ist.“