Manche Besetzer in Lützerath haben sich angekettet oder auf Holzplattformen verschanzt. Sie sind entschlossen, bis zum Schluss auszuharren und das Dorf im Kohlerevier zu erhalten. Doch nicht jeder will oder kann den Druck aushalten.
Lützerath, Mittwoch, 10 Uhr. Endlich eine Pause vom Dauerregen – das ist wohl das einzige, bei dem sich Polizei und Aktivisten heute einig werden. Zwei Fronten stehen sich gegenüber in einem Dorf, das schon vor der Räumung aussieht wie ein Schlachtfeld: Am früheren Ortseingang stapeln sich Pflastersteine und Dachziegel, Löcher wurden gebuddelt – offenbar, damit hier niemand mit schwerem Gerät reinfahren kann.
Trotzdem sind die Hundertschaften der Polizei da, bewegen sich in Gruppen durchs Dorf. Immer wieder ist in Sprechchören der Aktivisten zu hören: “Don’t talk to cops”, kein Kontakt zu Polizisten.
Morgen geht es wieder zur Arbeit
Aber nicht jeder hält sich daran. Schon morgens lassen sich die ersten Aktivisten von Einsatzkräften nach draußen begleiten. Ganz freiwillig, dann gebe es keine Konsequenzen. Das sagt die Polizei mehrfach über Lautsprecherdurchsagen an. Auch zwei Belgier fühlen sich angesprochen, lassen sich ohne Widerstand abführen. Das Pärchen sei gegen Gewalt, wollte nur ein Zeichen setzen. Das hätten sie damit getan. Morgen geht es wieder zur Arbeit, sagen sie, nehmen drei Tüten mit ihren persönlichen Dingen mit. Ein anderer Aktivist sagt zu seinen Mitstreitern, dass er mit der emotionalen Belastung nicht klar kommt und deswegen den Rückzug antritt.
Nicht immer läuft es so friedlich ab: Als die Polizei um 8:40 Uhr in Lützerath einrückt, gibt es Rangeleien, die Besetzer rücken aber schnell wieder ab. Immer wieder werden Bengalos von den Dächern gezündet. Molotow-Cocktails und Steine werden vereinzelt auf die Einsatzkräfte geworfen. Bis zum Nachmittag verläuft der Polizeieinsatz aber weitestgehend friedlich.
Symboldorf Lützerath
Der Streit um “Lützi” hat längst Symbolkraft: Einen Verbleib der Ortschaft halten viele Aktivisten für die letzte Möglichkeit, doch noch das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Immer wieder wird vorgerechnet, dass die Tonnen an Kohle unter Lützerath gar nicht benötigt würden. Die NRW-Landesregierung sieht das angesichts der Energiekrise anders. Der Kohleausstieg 2030 ist jetzt das zentrale Versprechen der Politik – dafür sei Lützerath die letzte Ortschaft, die geräumt werden müsse.
Wer durch das Dorf am rheinischen Braunkohlerevier läuft, hat schnell alles gesehen – groß ist Lützerath nicht. Sieben Häuser stehen hier noch, einige Bäume, den restlichen Raum füllen die Klima-Aktivisten mit selbstgebauten Holzkonstruktionen.
Der Ortskern gleicht einem Klettergarten
Der Ortskern wurde zu einer Art Klettergarten umfunktioniert, damit niemand auf dem Boden unterwegs sein muss – sonst wäre die Gefahr zu groß, von Einsatzkräften festgehalten zu werden. Und auch sonst ist für alles gesorgt: Kompost-Toiletten, mehrere Gemeinschaftsräume und eine Gemeinschaftsküche, in der sogar während der Räumung noch gekocht wurde.
Langes Ausharren
Am Rande des Dorfes stehen Johanna und Janine auf einer Holzkonstruktion. Sie sind zwei der schätzungsweise 300 bis 400 Aktivisten vor Ort und erst Anfang der Woche angereist. Mit vier Schichten Klamotten und einem dicken Schlafsack versuchen sie, bei 10 Grad Außentemperatur durchzuhalten. So lange, wie es nur geht. Janine ist 24 und das erste Mal als Aktivistin bei einem Klimaprotest dabei.
“Der bloße Wille reicht halt einfach nicht aus, um das Interesse von vielen Leuten zu wecken. Deswegen hatte ich das Gefühl, hierher kommen zu müssen”, sagt sie. Eigentlich studiert sie erneuerbare Energien, im Februar stehen wieder Prüfungen an. Falls ihr langweilig werden sollte, hat sie ihre Uni-Sachen dabei.
Plötzlich bricht während des Gesprächs Jubel aus – offenbar versuchen einige Menschen über die umliegenden Äcker immer noch nach Lützerath zu kommen, obwohl die Räumung längst läuft. Die Polizei hat die Situation schnell im Griff, kesselt die Aktivisten ein.
Am Nachmittag wird es immer ruhiger. Der harte Kern hat sich in den Baumhäusern verschanzt, um es der Polizei so schwer wie möglich zu machen. Eine harte Nacht steht vor den Besetzern – von der niemand weiß, wie sie ausgeht.
Source : Tages Schau