Thursday, November 21, 2024
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Vom “Wallfahrtsort” zum Einsatzort

by Reiner Kostler
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Seit Wochen wird über die Räumung der besetzten Ortschaft Lützerath am Tagebau Garzweiler II in Nordrhein-Westfalen spekuliert. Im Januar dürfte es so weit sein. Umweltschützer und Polizei bereiten sich vor.

Wenn sich die große Politik in Düsseldorf und Berlin um eine kleine Ortschaft von ein paar Häusern und ganz viel Ackerflächen kümmert, muss es schon um etwas Wichtiges gehen. Im Fall von Lützerath ist das ohne Zweifel der Fall. Das tief im Westen gelegene Dörfchen zwischen Aachen, Mönchengladbach, Köln und Düsseldorf beschäftigt seit Monaten Beamte, Minister und die Öffentlichkeit.

Denn: Unter Lützerath liegt eine große Menge Braunkohle, die der Energiekonzern RWE abbauen und zur Stromproduktion verfeuern darf. Die Ortschaft soll für den Tagebau Garzweiler II weichen. Nicht mit uns – sagen Klimaaktivisten und halten den Weiler besetzt. Sie behaupten, dass die Kohle unter Lützerath trotz Energiekrise nicht gebraucht werde und der Ort bleiben kann.

Doch inzwischen geht es um viel mehr als nur die Ortschaft. “Lützerath ist zum Wallfahrtsort von Aktivisten geworden, zu einem ihrer wichtigsten Schauplätze im Kampf um das 1,5-Grad-Ziel”, schrieb kürzlich der “Spiegel”.

Räumung ab 10. Januar möglich

Im Januar wird sich der “Wallfahrtsort” aller Voraussicht nach in einen Einsatzort für die Polizei verwandeln. Denn nach dem Jahreswechsel steht die Räumung von Lützerath an. Die Vorbereitungen dafür laufen seit Wochen.

Erst am Dienstag dieser Woche hatte der Kreis Heinsberg, in dem Lützerath liegt, den Aufenthalt in dem Weiler untersagt und damit formal den Weg für eine Räumung frei gemacht. “Wird dem Platzverweis keine Folge geleistet, so bietet die Verfügung die Grundlage zur Ergreifung von Räumungsmaßnahmen ab dem 10. Januar”, hieß es von der Kreisverwaltung.

Zuvor hatte der Bürgermeister der Stadt Erkelenz, zu der die Ortschaft Lützerath gehört, einen solchen Schritt abgelehnt und damit für Aufsehen gesorgt. Denn es wurde deutlich, dass nicht alle Verantwortlichen vor Ort die vom Land NRW forcierte Räumung unterstützen.

Schon in der Vergangenheit hat sich die Stadt für die Erhaltung von Dörfern eingesetzt, die dem Braunkohletagebau weichen sollen. Nun warf der CDU-Politiker Stephan Muckel auch den eigenen Parteifreunden in der schwarz-grünen Landesregierung vor, dass den Entscheidungsträgern auf lokaler Ebene der “Schwarze Peter” für die Räumung zugeschoben werden solle. Die Stadt könne nicht mit ihren “fünf Verkehrsüberwachungskräften aus dem Ordnungsamt” die Räumung anordnen.

Trotzdem könnte es ab der zweiten Januarwoche könnte es also losgehen. Die große Frage ist, was genau dann passiert. Bleibt es bei Sitzblockaden? Ketten sich Aktivisten an? Droht Gewalt? Schnell werden Erinnerungen wach an den Herbst 2018. Damals räumte die Polizei Baumhäuser im Hambacher Forst – einem Waldstück am Rande des Tagebaus Hambach, nur gut 20 Kilometer von Lützerath entfernt.

Klimaaktivisten und Besetzer leisteten erbitterten und zum Teil gewaltsamen Widerstand. Es war wohl einer der größte Polizeieinsätze in der Geschichte von Nordrhein-Westfalen, der den Konflikt zwischen Klimaschützern und dem Staat auf die Spitze trieb. Am Ende wurde der Erhalt des Waldstücks vereinbart.

Besetzer in Lützerath sind vorbereitet

Dieser Erfolg von damals lässt die Besetzer von heute davon träumen, dass ihnen in Lützerath etwas Vergleichbares gelingt. Während die ursprünglichen Bewohner das Dorf schon längst verlassen haben, leben dort inzwischen etwa 100 Menschen in Zelten, Wohnwagen, Holzhütten oder Baumhäusern. Es gibt Workshops mit dem Titel “Barricad building & To-Do’s”.

“Wir bereiten uns seit zwei Jahren auf die Räumung vor”, sagte vor ein paar Tagen Mara Sauer der Nachrichtenagentur epd. Die 25-Jährige lebt seit über einem Jahr in dem Camp. Politisiert wurde die Brandenburgerin durch die Berichte über den Hambacher Forst. “Das war für mich der Aha-Moment.”

Großeinsatz der Polizei

Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul hat bereits an die Besetzer appelliert, die Situation nicht zu eskalieren. Friedlicher Protest sei legitim, so der CDU-Politiker. Aber es werde nicht geduldet, dass “unter dem Deckmantel von Klimaprotesten mit Gewalt Stimmung gegen den Staat” gemacht werde. In dem Fall würden die Behörden “entschieden vorgehen”.

Ungewöhnlich offen hat Reul skizziert, wie vorgegangen werden soll: in Form eines Großeinsatzes statt scheibchenweise. “Am Ende muss Lützerath leer sein und das geht nur mit einem Gesamteinsatz, bei dem erstens die Barrikaden beseitigt, zweitens die Personen verbracht, drittens alle Häuser abgerissen und die Bäume gerodet werden – also die Besetzungsinfrastruktur beseitigt wird.” Andernfalls werde “sofort wieder besetzt und wir fangen wieder von vorne an”. All das klingt nach einem wochenlangen Einsatz für Hunderte oder Tausende Polizisten.

Probleme für die Grünen

Wenn die ersten Beamten im Januar tatsächlich anrücken, wird es für die Grünen besonders heikel. Im Jahr 2018 kämpften sie noch Seite an Seite mit den Klimaaktivisten gegen eine Räumung des Hambacher Forstes. Der Landesverband veranstaltete sogar einen Parteitag an der Abbruchkante des Tagebaus. Mehr Schulterschluss ging nicht.

Vier Jahre später sieht die Lage völlig anders aus. Die Grünen sitzen in Düsseldorf und Berlin mit auf der Regierungsbank. Zwei bekannte Gesichter, Robert Habeck und Mona Neubaur, haben als Energieminister im Bund und in Nordrhein-Westfalen im Oktober den Weg dafür frei gemacht, dass Lützerath dem Braunkohletagebau weichen muss.

Zwar wurde im Gegenzug der Kohleausstieg von 2038 auf das Jahr 2030 vorgezogen und die Hälfte der bereits genehmigten Abbaumenge an Braunkohle bleibt im Boden. Dadurch wurde die Rettung für fünf andere Dörfer möglich. Dennoch wird den Grünen von Klimaaktivisten Verrat vorgeworfen, weil sie gegen Lützerath als Symbol des Widerstands der Anti-Kohlekraft-Bewegung vorgingen – und die Klimaziele gefährdeten.

Wie sehr die kommenden Ereignisse den Grünen schaden werden, dürfte davon abhängen, wie heftig der Widerstand der Besetzer vor Ort in Lützerath ausfällt und ob es vor laufenden Kameras erneut zu Szenen wie im Hambacher Forst kommt. Die Mobilisierung in der Szene läuft auf jeden Fall auf Hochtouren. So wird für den 14. Januar zu einer Großdemonstration in dem Ort aufgerufen. Laut der Umweltorganisation BUND werden Anreisen aus ganz Deutschland erwartet.

Source : Tages Schau

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