Das abstrakte Prinzip der „Technologieneutralität“ wird häufig herangezogen, um konkrete Änderungen am Green Deal der EU zu rechtfertigen. Laut einer kleinen Umfrage von Euractiv sind Interessenvertreter gespalten, inwiefern sich das Prinzip auf die EU-Politik auswirkt.
Seit den Europawahlen im Juli ist „Technologieneutralität“ ein häufig verwendeter Begriff in Brüssel. Für Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen besteht kein Zweifel – der Green Deal wird fortgesetzt, aber mit einem „technologieneutralen“ Ansatz. Das bedeutet weniger technologiespezifische Regeln und stattdessen eine Politik, die allen Dekarbonisierungstechnologien offensteht. Bei den Interessengruppen ruft das oft gemischte Reaktionen hervor.
Doch was im Prinzip klar ist, kann in der Praxis oft unscharf sein.
Eine nicht repräsentative Umfrage unter Euractiv-Lesern ergab, dass zwar viele Brüsseler Interessenvertreter dem Prinzip zustimmen. Ein großer Teil ist jedoch skeptisch, wie es in der Politikgestaltung angewendet wird. Fast alle hingegen sind der Meinung, dass Ausnahmen von der Regel dafür erforderlich sind.
Die Umfrage, die 27 Antworten von einem breiten Spektrum von Interessenvertretern erhielt, ist statistisch nicht repräsentativ, bietet jedoch eine Momentaufnahme verschiedener Perspektiven auf ein schwammiges Konzept.
Technologische Neutralität
In der Umfrage wird technologische Neutralität als das Prinzip beschrieben, dass „die Regulierung keine bestimmte Technologie bevorzugen oder benachteiligen sollte, sondern sich die politischen Entscheidungsträger stattdessen auf die Funktionen oder Ergebnisse des Einsatzes von Technologie konzentrieren sollten“.
Über 70 Prozent der Befragten stimmten dieser Definition zu. Befragten mit einer anderen Meinung, konnte keine eine Alternative vorschlagen. Alternative Ansätze konnten jedoch einige Interessenvertreter anbieten.
Marco Dall’Ombra, ein Berater für Heizung und Kühlung, sagt, der Begriff „Neutralität“ impliziere „passive“ Regierungen, die ineffektiv zwischen konkurrierenden Technologien vermitteln, ohne Partei zu ergreifen. Er bevorzugt stattdessen das Konzept der „technologischen Pluralität“.
Der schwedische Wärmepumpenhersteller Qvantum Industries bevorzugt „Technologieklarheit“, die als „die Auswahl der verfügbaren und vielversprechendsten Technologien zur Dekarbonisierung der europäischen Gesellschaften“ definiert wird.
Nützlichkeit
Die Meinungen der Interessengruppen über die Nützlichkeit der Technologieneutralität in der EU-Politik waren geteilt. Während einige das Prinzip für die EU-Politikgestaltung als sehr nützlich hielten, sind andere davon nicht überzeugt.
Unternehmen und Industrieverbände bewerten das Konzept als nützlicher, mit 6,4 von zehn Punkten. Innerhalb dieser Gruppe gab es jedoch immer noch unterschiedliche Ansichten – einige bewerteten es mit 1, andere mit 10.
Im Gegensatz dazu sind NGOs weitaus skeptischer und das einheitlich. Im Durchschnitt bewerteten sie das Konzept mit einer Zweckmäßigkeit von nur zwei von zehn Punkten, wobei es keine Bewertung über fünf gab.
Öffentliche Einrichtungen lagen mit einer Durchschnittsbewertung von sechs zwischen den beiden Fronten.
Benjamin Krieger, Generalsekretär des Autoteilezuliefererverbandes CLEPA, verteidigt den Ansatz der Technologieneutralität nachdrücklich. Er nennt ihn „ein Grundprinzip in einer Marktwirtschaft“ und besteht darauf, dass er beibehalten werden sollte.
Die Herausforderungen der Energiewende seien „vielschichtig“ und „keine Einzellösung kann alle Aspekte des Problems angehen“, erklärt das Methanol-Institut, was ebenfalls das Prinzip unterstützt.
Andererseits warnt Anke Herold, Direktorin des Öko-Instituts, vor der Technologieneutralität und beschreibt es als ein Konzept, das es Entscheidungsträgern ermöglicht, „sich davor zu drücken, Prioritäten zu setzen“. Sie sagt, dass sie „viele Treffen mit Wissenschaftlern aus China hatte“, die „über Technologieprioritäten sprechen, nicht über Technologieneutralität“.
Die NGO Food and Water Action Europe misstraut der Verwendung des Begriffs „Technologieneutralität“ in der Politik. Laut ihnen ist das Konzept „zunehmend gleichbedeutend mit Technologien, die den Status quo fossiler Brennstoffe schützen“.
Die meisten Umfrageteilnehmer waren sich einig, dass die Technologieneutralität praktische Ausnahmen erfordert. Diese Ansicht war bei den NGOs am stärksten vertreten, aber selbst die meisten Befürworter der Technologieneutralität erkannten die Notwendigkeit eines maßgeschneiderten Ansatzes an.
Nur ein Interessenvertreter sagte, dass das Prinzip ohne Ausnahmen angewendet werden sollte.
Automobilindustrie
Ein Großteil der Rückmeldungen bezog sich auf die Automobilindustrie. Von der Leyens Verweise auf die Technologieneutralität beziehen sich in der Regel auf den europäischen Automobilsektor sowie auch Draghis Wettbewerbsbericht.
Der CDU-Abgeordnete im Europäischen Parlament Jens Gieseke (EVP) verteidigte in seiner Antwort die Technologieneutralität nachdrücklich und brachte sie mit den jüngsten Erfahrungen der europäischen Automobilhersteller in Verbindung.
Er sagte, dass „unsere Ingenieure besser wissen als einige grüne und linke Politiker in Brüssel, wie man Klimaneutralität erreicht“. Es sei „nicht notwendig, den Verbrennungsmotor zu verbieten, wenn er mit klimaneutralen Kraftstoffen betrieben wird“.
Blick in die Zukunft
Unabhängig von den Vorzügen des Prinzips scheint die Technologieneutralität vorerst vor allem von Sektoren genutzt zu werden, die unter Druck stehen – entweder durch reale oder vermeintlich schädliche politische Maßnahmen oder durch die Skepsis von Umweltaktivisten.
Sicher ist, dass die anhaltende Dekarbonisierungskampagne in Europa weiterhin heftige Debatten darüber auslösen wird, welche Technologien am besten geeignet sind. Die Argumente für und gegen das Prinzip der Technologieneutralität werden wahrscheinlich bestehen bleiben, auch wenn sich nur wenige ganz sicher sind, was es in der Praxis bedeutet.